Warum ist Schnee weiß, obwohl Eis durchsichtig ist?

Schnee ist ein Phänomen voller Widersprüche. Er besteht aus Wasser, genau wie Eis, und doch wirken beide völlig unterschiedlich: Während eine glatte Eisfläche durchsichtig ist und Licht beinahe ungehindert hindurchlässt, leuchtet frisch gefallener Schnee blendend weiß. Wer an einem Wintermorgen hinausgeht, wenn die Welt wie mit Puder überzogen ist, erlebt diesen Effekt besonders deutlich: Alles scheint heller, weicher, stiller – als hätte die Natur selbst einen Filter über die Landschaft gelegt. Doch hinter diesem Zauber steckt kein Mysterium, sondern einfache Physik.
Der Schlüssel liegt im Aufbau. Eis ist ein kompaktes, zusammenhängendes Material. Seine geordnete Struktur erlaubt es dem Licht, weitgehend geradeaus zu passieren – darum können wir hindurchsehen. Schnee hingegen ist ein chaotisches Gebilde aus Milliarden winziger Eiskristalle, von denen jeder einzelne unzählige Kanten und Flächen besitzt. Wenn Licht auf diese Kristalle trifft, wird es nicht einfach weitergeleitet, sondern ständig reflektiert, gebrochen und in neue Richtungen gelenkt. Ein einzelner Strahl wird dabei so oft hin- und hergeworfen, dass er in alle Richtungen zurückstreut und schließlich als diffuses, gleichmäßig verteiltes Licht bei uns ankommt.
Und genau darin liegt das Geheimnis des Weiß. Weißes Licht ist nichts anderes als die Summe aller sichtbaren Farben. Wenn sie gemeinsam und ungeordnet zurückgeworfen werden, verschmelzen sie in unserem Auge zu Weiß – ähnlich wie die vielen Töne eines Orchesters zu einem Klang werden. Schnee wirkt also nicht deshalb weiß, weil er eine eigene Farbe hätte, sondern weil er das gesamte Spektrum des Lichts in alle Richtungen streut. Das macht ihn zu einer leuchtenden Bühne für den Winter – und erklärt, warum ausgerechnet gefrorenes Wasser, das als Eis durchsichtig bleibt, als Schnee plötzlich strahlend weiß erscheint.